Bedeutung und Perspektiven von Strukturen der Ambivalenz im OEuvre Elie Wiesels
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i02-03.475Abstract
»Wenn die Griechen die Tragödie erfanden,
die Römer die Sendschreiben und die
Renaissance die Sonette, so hat unsere
Generation eine neue Literatur erfunden:
die der Dokumentation in den Aussagen
der Zeugen.« 2
Die Zäsurerfahrung des Holocaust hat der modernen
Zivilisation eine Revision des eigenen
Selbstbewusstseins und der Selbstwahrnehmung
abverlangt, die sich signifikant auf die langfristig
resultierenden soziologischen Prozesse und Neuordnungen
ausgewirkt hat, insbesondere auch auf
das performative und von kulturellen Rahmenbedingungen
abhängige Momentum von Zeugenaussagen
und deren gesamtgesellschaftlicher Wahr -
nehmung. Innerhalb der sukzessiv, allerdings viel
zu spät einsetzenden Aufarbeitung der Verbrechen
des Holocaust hat das Verständnis von Zeugenschaft
eine signifikante Prägung erfahren, welche
Aleida Assmann als »moralische« definiert.3 Diese
zeichnet sich durch eine mehrfache Rollenbesetzung
aus: die des Überlebenden, des Opfers und
der final daraus resultierenden Rolle des Zeugen,
der zum »Sprachrohr wird für die, die nicht überlebt
haben«.4 Er fungiert weniger als juristischer
Ankläger, denn vielmehr als Totenkläger 5, sein
Zeugnis ist seine »verkörperte Wahrheit«6.
Durch die biografische und persönliche Erfahrung
kann diese Form des Zeugnisses rein positivistischen
Wahrheitsansprüchen eine Absage erteilen,
denn moralische Zeugen sind »keine Spezialisten
für unverstellte Wahrheit«, sondern bieten
vielmehr die von ihnen erfahrene Wahrheit
als eine subjektive Erinnerung an.