Nr. 2 (2024): Gesicht zeigen gegen Antisemitismus
Ich dachte lange Zeit, dass Antisemitismus in Deutschland, aufgrund unserer Geschichte, kein Thema mehr wäre… Es zeigt sich jedoch, dass dies ein Irrtum war.« (Kristina)
Diese Aussage einer jungen Teilnehmerin an der künstlerisch gestalteten Ausstellung »Unsichtbar ‒
in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!« steht als Motto für die vorliegende Ausgabe dieser Zeitschrift. Denn genau dies erleben wir in Deutschland, Europa und weltweit, dass aufgrund des unvorstellbaren Massakers der Hamas an Israelis und deren Gästen am 7. Oktober 2023 in einer für Judenfeindschaft typischen Täter-Opfer-Umkehr Anfeindungen und Hass bis
hin zu körperlichen Gewalt gegen Jüd:innen extrem angestiegen sind. Antisemitismus ist also alles andere als »kein Thema mehr«, sondern brandaktuell – im wahrsten Sinne des Wortes. Dagegen steht die besagte Ausstellung, die von den Tübinger Kunstschaffenden Lissi Maier-Rappaport und Peter Krullis entworfen und mit inzwischen mehr als 100 Personen realisiert wurde. Die Teilnehmer:innen wurden fotografiert, die Fotos auf große Banner gedruckt, darunter befindet sich ein Spruch wie der
obige, der zum Nach-Denken und zum Handeln anregt. Manche Teilnehmer:innen, insbesondere
Jüd:innen, haben dennoch ihr Gesicht verborgen oder sich nur von hinten fotografieren lassen, um – berechtigterweise – nicht zur Zielscheibe für Angriffe zu werden: »Ich zeige kein Gesicht, damit du mir nicht ins Gesicht spucken kannst«, ließ Sarah- Ruth unter ihr unsichtbares Conterfey drucken. Die Ausstellung wurde anlässlich einer Studienwoche gegen Antijudaismus und Antisemitismus an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen im November 2023 eröffnet und war ein halbes Jahr öffentlich zugänglich. Mehr zu Ausstellung und Studienwoche finden Sie in diesem Heft. Für die Beiträge wurden junge Wissenschaftler: innen, insbesondere Theolog:innen gebeten, aus ihrer jeweiligen Fachrichtung die Frage des Antijudaismus und Antisemitismus in der christlichen Tradition und Gegenwart zu diskutieren. Bereichert wird die Ausgabe durch Beiträge von weiteren Autor:innen auch aus den USA, die zum Teil ähnliche Themen aufgreifen – Antisemitismus und Erinnerungskultur – oder Themen, die für die christlich-jüdischen Beziehungen und die aktuellen Debatten ebenfalls höchst relevant sind: Elie Wiesels Verhältnis zu Israel, jüdische Mystik als Empowerment für Menschen von heute, vorbildliche Widerstandskämpfer:innen in der Nazizeit. Und schließlich bilden die bekannten Rubriken Bildung, Aktuelles, Rezensionen wieder ein breites Spektrum an Themen ab. Auch diese Ausgabe will Sie, liebe Leser:innen, und uns alle herausfordern, das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum zu reflektieren und aktiv zu werden, um dem Hass zu widerstehen und allen Menschen – Jüd:innen und Nicht-Jüd:innen – ein Leben in Sicherheit und Würde zu ermöglichen