Religion des Lernens

Autor/innen

  • Daniel Krochmalnik

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.597

Abstract

Wert des Lernens
Man hat das rabbinische Judentum treffend
als »Religion of Lernen« bezeichnet. 2
Das Lernen gilt als oberste Pflicht (Mizwat
Talmud Torah), es wiegt, so ein charakteristisches
rabbinisches Dictum, alle anderen Pflichten auf
(Talmud Torah KeNeged Kulam, mPea 1,1), übrigens
auch religiöse Pflichten wie beten und opfern
(bEr 63b). 3 So ist es etwa erlaubt, eine Synagoge
abzureißen, um an ihrer Stelle ein Lehrhaus
zu errichten (bMeg 27a), der Aufbau des Tempels
kann dagegen bis zum Ende des Unterrichts warten
(bMeg 16b).
Lernen verdrängt auch höhere Gewalt (ebd.).
Berühmte Beispiele für diese Wertehierarchie liefern
führende Rabbinen: Rabbi Jochanan ben Sakai
und Rabbi Akiwa. Ersterer ergab sich im 1. Jüdischen
Krieg den römischen Belagerern Jerusalems
unter der Bedingung, ein Lehrhaus in Jawne eröffnen
zu dürfen (bGit 56b). In Jawne, nicht in der
Zelotenhochburg Massada, stand dann auch die
Wiege des rabbinischen Judentums. Rabbi Akiwa
ignorierte dagegen im 2. Jüdischen Krieg ein römisches
Lehrverbot und wurde zum Tode verurteilt.
Einem Mitgefangenen erklärte er, dass die Torah
dem Juden sei, was das Wasser dem Fisch – ein Jude,
der lieber leben als lernen wollte, gliche einem
Fisch, der sich aus dem Wasser rettet (bBer 61b).
Vor dem 1. Jüdischen Krieg bildeten Staat und
Tempel die anderen Brennpunkte des jüdischen
Lebens, doch nach ihrem Untergang blieb als einziger
Mittelpunkt des Judentums – das Lehrhaus
(Bet Midrasch). In einer Lehre der Synagogenväter
heißt es zwar noch: »Es gibt drei Kronen: die
Krone der Lehre (Torah), die Krone des Priestertums
(Kehuna) und die Krone des Königtums
(Malchut) (...)« (mAw 4, 17), doch die Parallelstellen
(ARN A41, B48) und erst recht die mittelalterlichen
Kommentatoren (Maimonides z. St.
u. a.) unterstreichen den Vorrang der Krone der
Torah; der verdiente Lernadel verdrängte den davidischen
und aronidischen Erbadel (bJom 72b).
Diese Umwertung der Werte wird in Spitzenaussagen
wie den folgenden deutlich: Der gelehrte
Laie (Hedjot) stehe auf der gleichen Stufe wie
der König (SifDeut §161) und der gelehrte Bastard
hat Vorrang vor dem unwissenden Hohepriester
(Mamser Talmid Chacham Kodem LeChohen
Gadol Am HaArez, mHor III, 8).
Im Mittelalter hatte die rabbinische »Sophokratie
« die beiden anderen Kronen längst verdrängt
und war zur unumstrittenen Führungsschicht im
Judentum aufgestiegen.

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Veröffentlicht

2021-01-23