Stolpern im Religionsunterricht: die Stolpersteine als Lernimpuls

Autor/innen

  • Judith Föcker

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.602

Abstract

1 Einführung
Jedes Jahr kommt im Hinblick auf den Gedenktag
an die Opfer des Nationalsozialismus die Frage
auf, wie man die Schülerinnen und Schüler * der
vierten Generation für die Schoah-Thematik sensibilisieren
und das Lernangebot nachhaltig anlegen
kann. Welche didaktischen Zugänge sind in diesem
Zusammenhang sinnvoll, um Kinder und Jugendliche
mit einem Thema zu konfrontieren, das
für sie weit in der Vergangenheit zurückliegt und
zu dem sie letztlich kaum einen Bezug haben?
Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig
bieten eine Möglichkeit, SuS an die Thematik
ganzheitlich mit allen Sinnen heranzuführen – so
durch die Auseinandersetzung mit dem Stein als
Kunstwerk, aber auch mit einem persönlichen
Schicksal. Dieser Mensch, damals auf eine Nummer
reduziert, erhält durch den Beitrag bzw. die
Aktivität der SuS in einer Gedenkveranstaltung
seinen Namen und seine Identität ein Stück weit
zurück.
Stolpersteine knüpfen in gewisser Weise an
den Lebensalltag der SuS an. Sie liegen in Fußgängerzonen,
vor Kinos, Kneipen und anderen Orten,
wo man letztlich nicht mit ihnen rechnet. 2 Sie
holen die Lernenden aus der Gegenwart, aus ihrem
Alltag ab und nehmen sie schrittweise durch
eine andere Art der Auseinandersetzung in die Vergangenheit
mit. Mittlerweile gibt es zahlreiche
Schulprojekte zu dem Thema.
1995 wurden in Köln die ersten Stolpersteine
verlegt. Heute gibt es mehr als 2026 in Köln und
mehr als 50 000 Steine in Deutschland sowie in
18 weiteren europäischen Ländern. Demnig bezeichnet
seine Stolpersteine als dezentrales Monument.
Sie liegen genau dort, wo alles begann.3
Es handelt sich dabei um 10 x 10 x 10 cm große
Messingplatten. »Mit den Steinen«, so Demnig,
»sind diese Menschen plötzlich wieder gegenwärtig.
Wer den Namen des Opfers lesen will, muss sich
herunterbeugen, in diesem Moment verbeugt er
sich vor ihm.« 4
»Der Hintergrund des Projektes Stolpersteine
ist ja eigentlich kein Grund zur Freude: Trotzdem
freue ich mich immer über das Interesse
der Jugendlichen. Die wollen wissen: Wie
konnte das im Land der Dichter und Denker
geschehen? Und der Gedanke: So etwas darf
nicht noch einmal passieren…«.
Gunter Demnig in einem Interview während
einer Stolperstein-Verlegung 2014
Im Rahmen des Religionsunterrichts entwickelte
sich die Idee, mit den SuS nicht nur theoretisch
über das Kunstprojekt zu diskutieren, sondern
gemeinsam in die Stadt hinaus zu gehen und
vor Ort die Verlegung eines Stolpersteins zu gestalten.
Die Begegnung der SuS mit dem Künstler, Begegnungen
mit Nachbarn und die stadträumliche
Umgebung der deportierten Juden verwandelten
die Stolperstein-Verlegung in eine anschauliche Begegnung
mit dem Leben und Schicksal der Opfer.
Am Imgardis-Gymnasium in Köln wurden von
mir mehrere Stolperstein-Verlegungen mit Klassen
der Unter-, Mittel- und Oberstufe durchgeführt.
Im Folgenden wird das Stolperstein-Projekt
in seinen wichtigsten Stationen von der Vorbereitung
und Durchführung bis zur Reflexion beschrieben.
Realisiert wurde dieses Projekt u. a.
zehn Wochenstunden lang mit einer 8. Klasse.

Downloads

Veröffentlicht

2021-01-23

Ausgabe

Rubrik

Anregungen für Schule | Gemeinde | Erwachsenenbildung | Bildung