Revolutionäre Entwicklungen innerhalb der jüdischen Orthodoxie in Bezug auf den jüdisch-christlichen Dialog. Zum Jubiläum von Nostra Aetate sind drei jüdische Erklärungen erschienen
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.604Abstract
Das 50-jährige Jubiläum der Erklärung des Zweiten
Vatikanischen Konzils Nostra Aetate war ein
extrem wichtiges Ereignis, nicht nur innerhalb
der Katholischen Kirche (oder generell in den christlichen
Kirchen) in Bezug auf den Dialog, sondern
es wurde auch Grundlage einer Diskussion über
den Stand und die Zukunft des jüdisch-christlichen
Dialogs innerhalb der jüdischen Orthodoxie. Nostra
Aetate war ein Meilenstein in der Entwicklung
des Dialogs und wirkte weit über die Katholische
Kirche hinaus auch in andere christliche Kirchen
hinein.2 Das Zweite Vatikanische Konzil korrigierte
geradezu revolutionär die christliche Lehre in
Bezug auf das Judentum. Das eröffnete ganz neue
Möglichkeiten. Der Vatikan bekräftigte seine Position
nochmals im Jubiläumsjahr mit dem Dokument
»Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung,
die Gott gewährt« (Röm 11,29).3 Besonders
wichtig aus jüdischer Sicht war die klare Absage
an die sogenannte Judenmission: »Dies bedeutet
konkret, dass die Katholische Kirche keine spezifische
institutionelle Missionsarbeit, die auf
Juden gerichtet ist, kennt und unterstützt (6,40).«
Die Frage innerhalb der jüdischen Orthodoxie
war, wie man in diesem Jubiläumsjahr angemessen
agiert. Speziell in Europa wurde diskutiert,
ob man sich äußern sollte und wenn ja, wie. Am
20. April 2015, also genau 50 Jahre nach der Verabschiedung
von Nostra Aetate, besuchte zum
ersten Mal eine offizielle Delegation
der Conference of European
Rabbis (CER), des orthodoxen,
europäischen Rabbiner
verbands,Papst Franziskus
in einer Audienz. Leiter der
Delegation waren der CER-Präsident Rabbiner
Pinchas Goldschmidt, Oberrabbiner von Moskau,
und Rabbiner Haim Korsia, Oberrabbiner von
Frankreich, der nach dem Delegationsbesuch noch
eine Privataudienz beim Papst hatte. Beide Rabbiner
stehen dem jüdisch-christlichen Dialog ausgesprochen
positiv gegenüber.
Die Wichtigkeit und das Potential des Jubiläumsjahrs
wurde nun innerhalb der CER erkannt,
und es gab einige Rabbiner, die auf eine Erklärung
zu Nostra Aetate und dem Christentum drängten.
Andere Rabbiner wiederum unterstützen zwar
grundsätzlich den Dialog und wertschätzten die
Veränderungen innerhalb der Kirchen, meinten
aber, dass man sich nicht unbedingt explizit in einem
Dokument äußern müsse.
So gab es zunächst in Europa keine einheitliche
Haltung. Irgendwie hoffte man dann, dass sich vielleicht
das Oberrabbinat in Israel, stellvertretend
für die Orthodoxie allgemein, äußern würde, aber
schnell war klar, dass das (aus verschiedenen Gründen,
auf die ich hier nicht näher eingehen kann)
nicht passieren würde. Es ist an dieser Stelle noch
wichtig, darauf hinzuweisen, dass oben Genanntes
in einer allgemeinen Entwicklung der letzten
10 bis 15 Jahre innerhalb der Orthodoxie in Richtung
einer Intensivierung des Dialogs zu verstehen ist.