Elazar Benyoëtz – ein Leben für die deutsche Dichtung
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.613Abstract
Der Name klingt noch immer Vielen fremd
im Ohr, und doch ist das umfangreiche, deutschsprachige
Werk des israelisch-jüdischen Dichters
längst kein Geheimnis mehr in der Literaturszene.
Eine Hommage an den deutschsprachigen Aphoristiker
Elazar Benyoëtz, der im März dieses Jahres
80 Jahre alt geworden ist.
Geboren wurde Elazar Benyoëtz als Sohn österreichischer
Juden am 24. März 1937 inWiener Neustadt.
Aber schon nach zwei Jahren flohen seine
Eltern mit ihm und seiner Schwester nach Palästina.
Hier wuchs Benyoëtz, der ursprünglich Paul
Koppel hieß, heran, schrieb seine ersten Gedichte
auf Hebräisch, das er als seine Muttersprache ansieht,
ohne aber je das Deutsche aus dem Blick zu
verlieren. Bereits im Jugendalter studierte er nicht
nur die Tora und den Talmud, sondern auch stapelweise
die deutsche Literaturgeschichte.
Noch bevor es diplomatische Beziehungen
zwischen beiden Ländern gab, brach Benyoëtz Anfang
der 1960er Jahre aus Israel auf, um in Deutschland
im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes
alle jüdischen Autoren zu verzeichnen, die jemals
etwas auf Deutsch geschrieben haben. Dieses
so begonnene Archiv einer Bibliographia Judaica
war ein ambitioniertes Projekt, für das Benyoëtz
bald schon weitere Wissenschaftler_innen
gewinnen konnte, die dann das begonnene Forschungsvorhaben
eigenständig weiterführten. Benyoëtz
hingegen wandte sich bald wieder seiner
eigenen Dichtung zu. Die Sprache aber, in der er fortan
schreiben wollte und sollte, hatte sich gewandelt,
er wurde nun ein Dichter deutscher Zunge.
Die emotionalen und existenziellen Probleme, die
dieser Sprachwandel mit sich führte, reflektiert
Benyoëtz in seinen Werken nicht nur inhaltlich,
sondern auch formal. Seine extrem verknappten
Sätze wollen nicht episch breit erzählen. Sie zielen
vielmehr auf eine Sinnspitze, die denkbar pointiert
und präzise ist und im Augenblick des Verstehens
den Satz in eine andere Bedeutung umschlagen
lässt. Bei diesem Verfahren, das Benyoëtz in der
deutschen Literatur auf einmalige Weise realisiert
und beherrscht, geht es weder um reine Dialektik
noch um sterile Brillanz, sondern um geistige Evidenz
und sprachliche Eleganz. Benyoëtz verdichtet
Sprache zu einzelnen Sätzen, die er schlicht
»EinSätze« nennt und die ihren je eigenen Freiraum
benötigen, um wirken zu können. Der unverstellte
Blick auf die deutsche Sprache legt die
wörtlichen Bedeutungen frei, die im Alltag allzu
oft verloren gehen. Sprache wird somit ins Wort
und wortwörtlich auch zur Sprache gebracht.
In den vierzig Jahren unermüdlichen literarischen
Schaffens hat sich das Werk von Benyoëtz
jedoch deutlich verändert; grob gesprochen lassen
sich seine Werke in drei Phasen gliedern. Standen
zu Beginn Bücher, die aus Aphorismen bestehen
(1), so schuf der Autor mit einem seiner originellsten
und politisch wichtigsten Bücher »Treffpunkt
Scheideweg« (1990) ein neues literarisches Genus,
das die vorigen »EinSätze« mit längeren Prosatexten,
Tagebucheinträgen, Briefen und vor allem
Zitaten zum Teil sehr unbekannter Autoren kombiniert (2).