Das Portal des Psalters (Ps 1). Rabbinisch-benediktinische Betrachtungen
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.615Abstract
Bau des Psalms
Psalm 1 hat man als »Portal« des Psalters bezeichnet.
Wie das Niemand trete ein, der nicht
Geometer ist über dem Eingang der Akademie, so
wird in diesem Eingangspsalm das biometrische
Suchbild des Berechtigten gezeichnet – und sein
Gegenbild. Das »Wohl dem Mann« (makarios
aner LXX) hängt von da an über vielen Pforten. So
beginnt die Bergpredigt Jesu mit den Makarismen
(Mt 5,3-11) und die eröffnende Sure des Qurans
unterscheidet gleichfalls »den Pfad derer, denen
Du gnädig bist« von dem »derer, denen Du zürnst
und nicht derer, die in die Irre gehen« (Vers 7) –
um nur zwei Beispiele zu nennen, die sich durch
zahlreiche »Wohl-denen«-Lieder vermehren ließen
(Ev. Gesangbuch 1994, Nr. 295).
Der Dualismus der zwei Wege ohne Mittelweg,
der des Frommen (Zaddik) und der des Frevlers
(Rascha), wird auch im Aufbau des Psalms abgebildet.
Der Psalm besteht aus 6 Versen, 3 davon
sind dem Weg des Frommen und 3 dem Weg des
Frevlers gewidmet bzw. dem Standpunkt Gottes,
der den Weg des einen (Derech Zadikkim) vom Weg
des anderen (Derech Reschaim) unterscheiden
kann – eine Mitte gibt es nicht. In der Doppelmitte,
den beiden Versen 3 und 4 stehen sich vielmehr
die beiden Bilder der einen und der anderen
schroff gegenüber: ein Baum (Ez), der nie welkt,
auf der einen, die Spreu (Moz), die vom Winde
verweht wird, auf der anderen Seite.
Natürlich wahrt der Psalmist auch in formaler
Hinsicht keine Äquidistanz zu beiden Lebensformen,
bei aller Symmetrie gibt es auch formale
Asymmetrien zugunsten des Frommen. Im Psalm
kommt das Relativpronomen Ascher, welcher,
das ein Homonym von Ascher, wohl, selig, glücklich
in der Überschrift ist, 4 x vor, entsprechend
kommt das homophone Kehrwort Rascha (A-Sch-
R/R-Sch-A) genau 4 x vor, aber über allem steht
als fünftes Vorkommnis von Ascher, die Seligpreisung,
Aschre dem Menschen, welcher, welcher,
welcher… . Zum gleichen Ergebnis kommt man,
wenn man nicht von der Vers-Zählung (Stichometrie)
sondern von der Kola-Zählung (Kolometrie)
ausgeht, wenn man also den Psalm wie in den
alten Handschriften in Hemistichoi nach den
stärksten Semikola abteilt, welche zugleich die
hauptsächlichen Sinneinschnitte markieren, die
beim Psalmodieren durch Stimmflexionen und
Interpunktionsmelismen angezeigt werden.