Rezension zu: Nussbaum, Martha (2017): Zorn und Vergebung Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit (aus dem amerikanischen Englisch von Axel Walter),Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 408 Seiten.

Autor/innen

  • Wilhelm Schwendemann

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.621

Abstract

Das Buch geht auf die John Locke Vorlesungen der
Autorin 2014 in Oxford zurück, die um Seminaraufzeichnungen
an der University of Chicago und an der
Brown University ergänzt wurden (S. 9).
Der Einstieg ist fulminant: Die Autorin nimmt Bezug
auf das antike Theater von Aischylos (Orestie), in
dem sich die drei Erinnyen/Furien (= antike Rachegöttinnen)
wesentlich wandeln, Recht und die Grenzen
des Rechts akzeptieren lernen, um so eine Transformation
des politischen Bewusstseins zu ermöglichen. Nicht
mehr barbarische Gewaltherrschaft soll über die Menschen
herrschen, sondern institutionalisiertes Recht
(S. 12). Die Furien sind Aischylos’ »Darstellung zügellosen,
unbändigen Zorns« (S. 12); sie wandeln sich zu
recht freundlichen, wohlwollenden Göttinnen (Eumeniden),
1 die der Stimme der Überzeugung zuhören müssen,
die besonnene und bedachte Argumente innerhalb
eines Rechtssystems vorbringt (S. 14). Verantwortung
vor dem Recht geht gegen unmenschlichen, blutrünstigen blutrünstigen
Zorn, der zwar als Emotion wahrgenommen werden,
aber nicht Motivation für das sich anschließende
Handeln sein soll. Wie ein roter Faden stellt sich die
Autorin die Frage nach dem Nutzen des Zorns und sie
antwortet mit Nein – der Zorn habe keinen Nutzen,
sondern schädigt und zerstört nur, wenn er menschliches
Handeln dominiert (S. 19). Wie der Zorn transformiert wird, zeigt Martha
Nussbaum an Mahatma Gandhi, Martin Luther King
und Nelson Mandela, die sie auf dem Weg des Friedens
und revolutionärer Gerechtigkeit sieht (S. 21).
Zum Zorn gehöre die Demütigung, die Nussbaum z.B.
in christlicher Vergebungs- bzw. Bußpraxis wiederfindet.
Die Folge, so Nussbaum, sei eine anhaltende Demütigung
und Beschämung des Täters (S. 25). Diese
Form wird von der Autorin ebenfalls auf die Seite der
Heimzahlung geschlagen. Demgegenüber stehe die bedingungslose
Liebe und Großzügigkeit. Rache, Zorn, Vergeltung,
Heimzahlung, bedingte Vergebung stehen
Großzügigkeit, Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit gegenüber
(S. 27).
Nach Richard Lazarus ist Zorn ein emotionales
Kernthema des Menschen, das sich als Handlungsstrategie
in Gedanken der Rache und der Heimzahlung
wiederfindet. Die Elemente des Zorns, auch schon bei
Aristoteles beschrieben, seien die Erfahrung der geringschätzigen
Behandlung oder Herabsetzung der eigenen
Person oder Personen aus dem nahen Umfeld, denen
»ungerechtfertigter oder unangebrachter« Schaden zugefügt
werde, der von Schmerz und dem »Trachten
nach Vergeltung« begleitet werde (S. 32). Nussbaum
widerspricht Aristoteles insofern, als sie dem Schmerz
und dem Trachten nach Vergeltung die Reaktion der
Trauer entgegensetzt und so dem Handeln aus Vergeltungssucht
den Boden entzieht (S. 33). Nussbaum geht
jedoch mit Aristoteles d’accord, wenn es um die Statusverletzung
geht; beide nehmen an, dass Zorn dann entsteht,
wenn scheinbar oder wirklich der Status eines
Menschen bedroht zu sein scheint (S. 37).

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Veröffentlicht

2021-01-23