Rezension zu: Heyde, Dietrich (2015): Wisse, nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich Essays zum interreligiösen Dialog Radius Verlag, Stuttgart, 198 Seiten.
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.653Abstract
Der Band versammelt acht Beiträge eines Mannes,
der einen ungewöhnlichen Lebensweg gegangen ist.
Dietrich Heyde, Jahrgang 1943, wuchs in Bremen auf
und studierte Theologie und Germanistik in Göttingen
und Tübingen. Dann folgte ein Vikariat in Bremen, bevor
Heyde seine Studien in Jerusalem fortsetzte. Literatur
und Jerusalem: zwei Stichworte, welche das Denken
dieses Mannes prägen sollten und auch seinem Essay-
Band Profil gegeben haben.
Die Liebe zur Literatur spiegelt sich in einem glänzenden
Essay zur grossen Lyrikerin jüdischer Herkunft
wider: Nelly Sachs, Nobelpreisträgerin des Jahres 1966.
Sie wird als »Chronistin der Shoah jenseits der Protokollform
« dargestellt. Und das Nachdenken über das, was
»Jerusalem« als Zentrum des jüdischen Volkes und geistige
Hauptstadt dreier Weltreligionen bedeutet, ist das
Zentrum des vorgelegten Bandes. Denn Heyde legt hier
keineswegs Essays allgemein »zum interreligiösen Dialog
« vor, sondern fordert konkret heraus, über »Israel«
als »Anstoss für die Völker« nachzudenken, wie es in
einem der Essays heißt. Denn die vorgelegten Beiträge
kreisen allesamt um nichts anderes als um das »Geheimnis
Israels« mit »Gott als Bundespartner«. Und
zwar im Geiste Martin Bubers, dessen Vermächtnis
nicht nur mit der Figur des ungekündigten Gottesbundes
lebendig erhalten wird, sondern auch mit einem
eigenen Kapitel über »Die Welt der Chassidim«.
Über Israel aber wird hier nicht theologisch abstrakt
und geschichtlich allgemein geredet, sondern
wirklichkeitsgesättigt, geerdet, geschichtlich konkret.
Die Wahrnehmung reicht von Auschwitz und seiner
Herausforderung, über den »Abgrund Mensch« genauso
nachzudenken wie über den »Abgrund Gott« bis
hin zum Nahostkonflikt und Fragen des Zionismus.
Man spürt es den Ausführungen an, dass hier ein Christ
mit Israel und an Israel leidet und sich nichts sehnlicher
wünscht, als dass Israel zum Frieden mit seinen palästinensischen
Nachbarn findet. Israel habe »fünf Kriege
gewonnen, aber den Frieden verloren«, zitiert Heyde
den früheren israelischen Staatspräsidenten Shimon
Peres. Jetzt aber gelte es, den Frieden zu gewinnen,
wobei ein Wort des Schweizer Schriftstellers Friedrich
Dürrenmatt, der 1976 einen glänzenden Israel-Essay
unter dem Titel »Zusammenhänge« vorgelegt hat, die
ganze Paradoxie der Friedensgewinnung aufzeigt: »Das
Paradox des Friedens besteht darin, dass er nicht aus
dem Krieg, sondern nur aus dem Frieden heraus verwirklicht
werden kann.« Und Heyde folgert daraus:
»Nicht das Unmögliche wird uns Menschen abverlangt,
nur dies, das Mögliche nicht länger unmöglich
zu machen.«
So spricht ein Mann, der mit dem Scheitern immer
wieder konfrontiert wird, aber nicht daran denkt, die
Zukunft den Zynikern zu überlassen. Pastor geworden,
hat er sich jahrelang als christlicher Vorsitzender für
die Bremische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
engagiert. Wer wie er auch sieben Jahre
Halligpastor im nordfriesischen Wattenmeer war, weiß,
wie man Stürmen standhält und sich von Fluten nicht
unterkriegen lässt.