Rezension zu: Markschies, Christoph (2016): Gottes Körper Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike Verlag C. H. Beck, München, 900 Seiten.

Autor/innen

  • Werner Trutwin

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.657

Abstract

Der Autor, ein hochgeschätzte Gelehrter und Wissenschaftsorganisator,
ist Professor für antikes Christentum
an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der
Humboldt-Universität in Berlin. Schon immer haben
seine Publikationen hohe Beachtung gefunden, weil er
es glänzend versteht, für sein vielleicht etwas abseits
liegendes Fachgebiet hohes Interesse zu gewinnen und
weil er zugleich über einen Stil verfügt, der es zur Freude
macht, seinen Gedanken zu folgen. Vor allem braucht
man nicht zu befürchten, Altbekanntes nur anders beschrieben
und mit anderen Worten vorgesetzt zu bekommen.
Auch was man in diesem Buch liest, ist weithin
neu. Immer wieder kann sich der Leser an gescheiten,
originellen, geistvollen Ideen dieses Buches begeistern,
das in den bis jetzt vorliegenden Rezensionen in der
FAZ, in der NZZ oder in der Süddeutschen sehr gut bewertet
wurde. Von der wissenschaftlichen Durchdringung
der vorliegenden Thematik zeugt der weit über
400 Seiten umfassende Anhang, der umfangreicher ist
als der Lesetext selber.
Zunächst mag der Gedanke, dass Gott einen Körper
hat, befremdlich klingen, weil der in jüdischen und
christlichen Tradition heute vorherrschende Transzendenzbegriff,
auf Gott bezogen, eine beherrschende Stellung einnimmt. »Sehr viele heute in Europa und Amerika
lebende Menschen sind im Laufe ihres Lebens zu
der Einsicht gelangt, dass – wenn es überhaupt einen
Grund gibt, an Gott zu glauben – solche Gottesbilder
aufgeklärt und ›moderner‹ sind, die zeitgemäße Standards
von Vernunft treffen und in denen Gott nicht in
Anlehnung an eine menschliche Person vorgestellt
wird. ›Anthropomorphismus‹, eine Vorstellung von Gott
in menschlicher Gestalt, gilt gemeinhin als archaisch,
naiv und primitiv.« (Vorwort). Aber sind diese Vorstellungen
wirklich naiv und primitiv?
Sie sind es nicht, wenn man mit Markschies einen
Blick auf die Sache und die Geschichte tut, obwohl er
kein historisches Buch geschrieben hat. Wer das sucht,
wird hier zwar auch leicht fündig, weil der Autor viel
historisches Material gesucht und breit analysiert hat.
Aber sein Hauptinteresse zielt darauf zu zeigen, dass
in den Gottesvorstellungen der Juden, der Christen und
auch der antiken paganen Religionen Gott in aller Regel
einen Körper hat und mit ihm auch körperliche Funktionen
ausübt. Selbst das biblische Bilderverbot, das gerade
für das Judentum eine entscheidende Rolle spielt,
beziehe sich auf Gottes Körper, verbiete nur seine bildliche
Darstellung. Für das Christentum gilt diese Einsicht
in besonders hohem Maß, wenn man sich klar
macht, welche Bedeutung die Lehre von der »Menschwerdung
Gottes« bzw. der »Inkarnation« oder »Fleischwerdung
« hat. Jahrhunderte lang wurde um das richtige
Verständnis dieser Vorstellung bei den Kirchenvätern
gekämpft. Unzählige Lehrvarianten wurden aufgestellt
und wieder verworfen. So nahm man z. B. wegen
der Anstößigkeit eines göttlichen Leibes an, Christus
habe nur einen Scheinleib gehabt, diese Annahme vielfach
variiert, aber dann doch verworfen, weil man klar
erkannte, dass das Erlösungswerk Christi auf diese Weise
gefährdet werde. Würde man den Leib des Herrn
aus dem Christentum entfernen, entzöge man dem
Christentum seine Grundlage.
Man staunt über die vielen Stationen der historischen
Entwicklung, die der Autor hier in den Blick genommen
hat. Viele Kirchenväter werden mit ihren Aussagen
zu Gottes Körper vorgestellt, so Origenes, Tertullian
und Augustinus. Auch die jüdische Tradition
kommt nicht zu kurz, vor allem ihre Mystik und Gnosis.
Hier sei nur noch ein markantes Beispiel aus der
antiken Philosophie zitiert, wo sich unter den Fragmenten
der Vorsokratiker auch der berühmte kritische
Aphorismus des Xenophanes (ca. 320 – 250 v. Chr.) befindet:
»Doch wenn die Ochsen und Rosse und Pferde
und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit
ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so
würden die Rosse rossähnliche, die Ochsen ochsenähnliche
Göttergestalten malen und solche Körper bilden,
wie jede Art gerade das Aussehen hätte.«
Wer das imponierende Buch von Markschies lesen
und verstehen will, darf die Mühe des Begriffs nicht
scheuen und sollte viel Zeit mitbringen. Doch wird
diese Anstrengung reich belohnt.

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Veröffentlicht

2021-01-23