Editorial
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.532Abstract
Das »Gift« des Antisemitismus ist das thematische
Motto dieser Ausgabe. Es ist »alt«, da seine
Frühformen weit in vorchristliche Zeit zurückreichen.
Durch die Ablöseprozesse der (vor allem der
hellenistischen) Christen vom Judentum und der
Entstehung einer Theologie der »Überwindung«
bzw. »Ersetzung« (Substitution) der jüdischen Religion
durch die christliche entstand eine neue Dimension
der Judenfeindschaft: Antisemitismus
wurde zum Programm des christlichen Abendlands.
Zwar gab es immer auch Zeiten relativer friedlicher
Koexistenz und des Austausches zwischen
Christen und Juden, letztere blieben aber stets
»verdächtig«, da sie die »Wahrheit« nicht erkennen
würden und »verblendet« seien gegenüber
der Botschaft Christi. Ihre Minderheitssituation
wurde als »konspirativ« gedeutet, sie wurden
schuldig für Katastrophen wie die mittelalterliche
Pest deklariert. Schließlich wurden Juden dämonisiert
und verteufelt.
Der Vorwurf, mit dem Satan im Bunde zu stecken,
war eine der Ursachen für aufkommende Verschwörungsmythen,
die – bis heute – den Juden
unterstellen, die Macht in Staat, Religion, Gesellschaft
und Wirtschaft erlangen zu wollen. Derlei
Verschwörungsmythen unterscheiden den Antisemitismus
von anderen Formen des Rassismus und
der Feindseligkeit gegenüber anderen Religionen
oder Fremden.
Dieser »alte« Antisemitismus taucht heute in
»neuen Schläuchen« auf, will sagen, in neuen
Kommunikationsformen, insbesondere auf Mainstream-
Seiten des Internet, aber auch mit neuen
Anschärfungen, die vor allem die Existenz des Staates
Israel betreffen. Schlagzeilen machten in den
vergangenen Jahren antisemitische Töne in populären
Songtexten, arabischer bzw. muslimischer
Antisemitismus, der sich auch in Europa breit
macht, sowie eine Radikalisierung extremistischer
und rechtsradikaler Anfeindungen gegen Juden.
Neuere Studien zeigen, dass Antisemitismus nicht
nur an den »Rändern«, sondern in der Mitte der
Gesellschaft vorhanden ist.
Alle diese Formen finden in den vorliegenden
Beiträgen Erwähnung und werden analysiert. Die
Leser_innen werden – so das Konzept dieser Zeitschrift
– in elementarer Form informiert und finden
zahlreiche Literaturangaben zur weiteren Vertiefung.
Ebenfalls finden Sie wieder Vorschläge für die
Bildungsarbeit, theologische Kommentare zu derzeit
diskutierten Themen, aktuelle Notizen und
Rezensionen.
Die Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung
im Kontext bleibt damit der Tradition und
den ursprünglich gesetzten Zielen des früheren
Freiburger Rundbriefs treu, der vor 70 Jahren zum
ersten Mal erschienen ist. Ein Abdruck des Inhaltverzeichnisses
des ersten Freiburger Rundbriefs
1948 finden Sie zu Beginn dieser Ausgabe.
In ihrem ersten Geleitwort schreibt die Gründerin
und Initiatorin Dr. Gertrud Luckner1 unter
anderem, dass sich aus ihren Hilfsaktionen für
Juden in der Nazizeit, die sie im Untergrund mit
Unterstützung kirchlicher Kreise und der Caritas
organisiert hatte, nach 1945 die Frage ergab, welche
Konsequenzen zu ziehen sind.