»Gnade und Berufung ohne Reue« Joseph Ratzinger/Papst em. Benedikt XVI. und der Stand des jüdisch-katholischen Dialogs

Autor/innen

  • Josef Wohlmuth

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.542

Abstract

Der volle Titel des Beitrags, den Joseph Ratzinger/
Papst em. Benedikt XVI. zur Veröffentlichung
freigegeben hat, lautet: Gnade und Berufung ohne
Reue – Anmerkungen zum Traktat ›De Judaeis‹.2
Warum äußert er sich nach dem überraschenden
Amtsverzicht ausgerechnet zum Verhältnis
von Kirche und Judentum noch einmal zu Wort?
Er äußert sich als Theologe, der nicht mehr das
höchste kirchliche Amt innehat, und deshalb –
wie schon in den Jesusbüchern – allein die theologischen
Argumente zählen, die er vorträgt. Joseph
Ratzingers Beitrag ist ein Kommentar zu einem
römischen Text, der anlässlich des 50-jährigen Jubiläums
von Nostra Aetate (= NA) durch die vatikanische
Kommission für die religiösen Beziehungen
zum Judentum unter dem Titel »Denn unwiderruflich
sind Gnade und Berufung, die Gott
gewährt (Röm 11,29)« am 10. Dezember 2015
veröffentlicht wurde. 3
Als Schüler von Joseph Ratzinger erlaube ich
es mir, mich um ein differenziertes Verstehen des
Textes zu bemühen und zugleich eine kritische
Beurteilung vorzunehmen, bei der allein die theologische
Argumentation zählt, die auf Gegenkritik
gefasst ist.
1 »Die theologische Bedeutung des Dialogs
zwischen Juden und Christen« (388 – 391)
Ehe sich Ratzinger den beiden zentralen Problemfeldern
unter dem Stichwort Substitutionstheorie
und dem Ausdruck nie gekündigter Bund
zuwendet, schreibt er einen Vorspann zur Trennungsgeschichte
von Juden und Christen, die mit
der Tempelzerstörung des Jahres 70 n.Chr. zusammenhängt.
Mit Franz Mußners Traktat über die Juden betont
Ratzinger zunächst die bleibende Bedeutung
des Alten Testaments. Erst die Zerstörung des Tempels
habe zu einer Entwicklung geführt, welche
eine doppelte Antwort auf dieses Ereignis in Judentum
und Christentum hervorrief. Für das Judentum
wurde schnell klar, dass der Kult des Tempels
nach dessen Zerstörung nicht mehr hergestellt
werden könne. Die Zerstörung des Tempels
und das Exil sah man »als einen vom Glauben Israels
selbst her zu erwartenden Vorgang« (388). Die
entstehenden Gemeinden, die den Glauben an
Jesus annahmen, gingen zunächst »durchaus innerhalb
von Israel« (388) ihren Weg. Mit der Entstehung
des ntl. Schrifttums finden sie ihre eigene
Identität und rezipieren ihrerseits weiterhin »die
Bibel Israels« (389), und zwar bis Markion einen
krassen Trennungsstrich zwischen dem demiurgischen
jüdischen Schöpfer-Gott und dem Erlöser-
Gott der Christen ziehen wollte. Die Ablehnung
Markions durch die römische Kirche führte zu
dem Ergebnis, »dass Christen und Juden den gleichen
Gott anbeten und die heiligen Bücher Israels
auch heilige Bücher der Christenheit sind.« (390)
Doch auf dem Boden dieser grundlegenden
Gemeinsamkeit haben sich auch die Grunddifferenzen
abgezeichnet.
1 Für die Juden ist klar, dass Jesus von Nazareth
nicht der erwartete Messias war, sodass sich
nach jüdischer Antwort die Christen auch
nicht mehr auf die Bibel Israels berufen können.
Das jüdische Grundargument lautet,
wenn Jesus der Messias gewesen wäre, hätte
er den Frieden in die Welt gebracht. (319)

Downloads

Veröffentlicht

2021-01-22