Rezension zu: Martin Buber Werkausgabe Bd. 20 (2017): Schriften zum Judentum hg., eingel. und komm. von Fishbane, Michael und Mendes-Flohr, Paul unter Mitarbeit von Pöpl, Simone Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 658 Seiten.

Autor/innen

  • Wilhelm Schwendemann

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.549

Abstract

Bubers Perspektiven auf das Judentum (S. 9) sind
in dem Band versammelt; ambivalent ist seine Position
zum »Gesetz« oder auch zum »Land Israel«. Insgesamt
sind es Schriften, die sich mit dem Judentum als Religion
und dem jüdischen Selbstverständnis in der Moderne,
d.h. im 20. Jahrhundert, auseinandersetzen. Die
Schriften sind von 1911–1952 chronologisch geordnet und bedenken z.T. auch die Schoah bzw. explizit, was
»Auschwitz« für das jüdische Selbstverständnis und
den jüdischen Gottesglauben bedeutet (vgl. die vier
Reden zwischen 1938 –1951); beigesellt ist bisher unveröffentlichtes
Archivmaterial (Wiedergeburt; mein
Liberalismus).
Wie immer ist die besondere editorische Sorgfalt
nicht nur hervorzuheben, sondern auch vor allem zu
würdigen. Buber betont immer wieder in autobiografischen
Notizen seine »eigenständige fortlaufende Entwicklung
einer Konzeption des posttraditionellen
Judentums«, womit er sich, vor allem in Israel, nicht
immer Freunde gemacht hat, sondern z.T. auch heftige
Kritik und Gegnerschaft erfuhr (S. 14). Auch seine Position
zum politischen Zionismus war im besten Sinn
fragwürdig, entwickelt er doch vor allem in seinen Betrachtungen
zum »Zion« eine Sichtweise, die die zeitgenössische
israelische Politik immer wieder kritisierte
und auf das religiöse Erbe zurückverwies und auf »religiöse
Erneuerung« drang (S. 14).
Nach Ich und Du wird Religiosität bzw. Religion
von Buber der dialogischen Begegnung von Gott und
Mensch konsequent untergeordnet; eine rein formale
Religionszugehörigkeit galt ihm nicht (S. 16). Gott lasse
sich weder psychologisieren noch in traditionelle Denkmuster
einordnen (S. 20). In den Schriften, die während
des Nationalsozialismus veröffentlicht wurden, entwickelt
Buber den Begriff der »Bewährung« und fokussiert
den »biblisch-hebräischen Humanismus« (S. 22):
»Halte Stand, höre im Donner das Wort, gehorche, erwidre!
« (S. 23, siehe Anm. 36, S. 22). Judentum ist für
Buber vor allem ein Phänomen der religiösen Wirklichkeit,
was bedeute, dass es überhaupt eine religiöse
Wirklichkeit gibt, »die sich im Judentum und durch es
kundgetan hat und um derentwillen, aus deren Kraft
und in deren Sinn das Judentum besteht.« (S. 27). Die
religiöse Wirklichkeit sei keine Idee, sondern sei von Gott
als Theophanie gestaltet (S. 29). Wirklichkeit stellt für
Buber ein »Beziehungsbegriff des Denkens« dar (S. 31).
Im Aufsatz Im Anfang reflektiert Buber das erste
Wort in der Bibel: »Gott verlangt vom Menschen nur
das Anfangen: dass er anfange das Rechte zu tun, und
Gott wird ihm helfen es zu vollenden, denn ohne Hilfe
von Gott kann man ja nichts zu Ende führen. Wenn
aber Gott ihm hilft, womit dient er Gott? Er hat ja selbst
nichts getan! Damit verhält es sich so: Das Wesen des
Dienstes ist eben das Anfangen, da gehört die Tat dem
Menschen; dann aber ist sie r sein, denn vom Himmel
wird ihm beigestanden.« (S. 34)
Buber diskutiert in Nachahmung Gottes den platonisch-
sokratischen Begriff der Nachfolge (S. 35f), danach
den christlichen Begriff der Imitatio Christi (S.
37) und betont, dass es in der neutestamentlichen Literatur
um eine Erinnerung, um ein Ȇberliefertwerden
eines Gedächtnisses durch die Generationen« gehe,
um die Erinnerung an den Lebenslauf Jesu (S. 38).
Im Judentum und in den Evangelien gehe es um die
Nachahmung des lebendigen Gottes (S. 39): »Gott
nachahmen also bedeutet: seinen Wegen anhangen, in
seinen Wegen gehen. Das sind nicht die von ihm dem
Menschen als solchen gebotenen Wege, es sind wirklich
Gottes eigene Wege.« (S. 42) Buber fasst zusammen,
die Wege Gottes seien die der Barmherzigkeit,
des Langmuts, der Gnade, der Güte und Treue (S. 43),
das Wohltun insgesamt und alles rühre vom Geheimnis
Gottes her (S. 43). Der Begriff Vertrauen wird differenziert
in »einem vertrauen«, d.i. in einem bestimmten
Verhältnis zur Wahrheit zu stehen: »Einem Menschen
vertrauen heißt, an die Wahrheit glauben, der man dienen
kann, an die Wahrheit, die nicht von unseren Gnaden,
sondern von deren Gnaden wir bestehen.« (S. 45)
In der Achad-Haam-Gedenkfeier würdigt Buber
diesen als Lehrer der jüdischen Religion und verwendet
auch den Begriff »Wiedergeburt« (S. 48).
In Der Glaube des Judentums thematisiert Buber
nicht »Kult, Ritual, sittlich-religiöse Norm«, sondern
den jüdischen Glauben, den er als Vertrauen und Treue
charakterisiert (S. 63). Die Beziehung zu Gott sei ausschließlich
eine dialogische, wobei die menschliche
Wahrnehmung irritiert sein könne (S. 65), aber die Beziehung
bedeute »Erkennung, Anerkennung, Wiedererkennung
der göttlichen Einheit« (S. 65). Wiedererkennen
des dialogischen Gottes in menschlicher Wirklichkeit
bedeute Anerkennung der Gottheit!

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Veröffentlicht

2021-01-22