Rezension zu: Nussbaum, Martha; Levmore, Saul (2018): Älter werden Gespräche über die Liebe, das Leben und das Loslassen Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Weltecke. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 272 Seiten.
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.554Abstract
Das Buch Älter werden. Gespräche über die Liebe,
das Leben und das Loslassen der Chicagoer Rechtsphilosophin
und Ethikerin Martha Nussbaum und des
Juristen Saul Levmore von der gleichen Chicagoer School
of Law nimmt seinen Ausgang an der Art des römischen
Anwalts und Philosophen Marcus Tullius Cicero,
dialektische Philosophie zu betreiben (De Senectute;
Über das Alter; De Amicitia; Über die Freundschaft)
(S. 76), mit einem Gesprächspartner in einen Dialog zu
treten.
Im Unterschied zu Ciceros fiktiven Gesprächen finden
wir im vorliegenden Werk einen spannenden, aber
auch bisweilen sehr akademisch-ambivalenten Dialog
in 16 Essays, die die antike Philosophie und Dichtung
(Aristoteles, Platon, Epikur, Lukrez, Euripides u.a.),
christliche und jüdische Traditionen und Kommentierungen
der Bibel über Shakespeare, Sartre, Beauvoir,
Musik, Film und Kunst bis hin zu aktueller amerikanischer
Politik (Donald Trump) durchstreifen und Antworten
auf die Fragen menschlicher Endlichkeit und
Sterblichkeit, Alter, Krankheit, Einschränkung der Fähigkeiten
suchen, aber letztlich nicht aushalten.
Im letzten (achten) Kapitel Großzügig sein diskutiert
Martha Nussbaum Platons Symposion und fragt
nach der Verbindung zwischen Altersweisheit – Großzügigkeit
und Altruismus (S. 247ff), um »Gutes« zu tun
(S. 250), was sprachlogisch ausgeführt wird.
Letztlich muss das ganze Buch von hinten gelesen
werden: Levmore erörtert die verschiedenen Phänomene
der Paradoxie der Großzügigkeit und des Altruismus,
und Nussbaum stellt die grundsätzliche Frage,
wie Menschen mit ihrer Angst vor der Sterblichkeit,
dem Sterben selbst und dem Tod umgehen (S. 251);
sich jedoch von dieser Angst leiten und beeinflussen zu
lassen, wäre im Duktus des Buches unredlich. In der
stoischen, christlich-biblischen, jüdisch-biblischen Tradition
und den entsprechenden Ethikmodellen geht es
jedoch eher um eine Haltung der Selbstdisziplin und
um ein »Streben, sich von Selbstbezogenheit und Gier
zu lösen, was ständige Wachsamkeit und Meditation
erfordern kann. Wenn alternde Menschen also vorbereitet
sein wollen, wenn die Angst vor dem Tod zuschlägt,
so sollten sie sich in diesem Streben üben.« (S.
254)Sich auf den Kontroll- und Mobilitätsverlust einzustellen,
den eigenen Körper und die eigenen Fähigkeiten
und Möglichkeiten loslassen und einschränken zu
müssen, stellt die wesentliche Lernaufgabe des Menschen
dar. Die Antwort der biblischen Traditionen wäre
die Akzeptanz, auf den anderen Menschen angewiesen
zu sein, weil Menschen soziale Wesen sind. Der Lebensmodus
hieße, Alter, Sterben und Tod mit Humor
und Selbstbescheidung zu ertragen (S. 257).