Die Bedeutung der geistigen Wesenheiten im Dialogdenken Martin Bubers
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.561Abstract
Die geistigen Wesenheiten spielen in der Interpretation
der Schriften Bubers, vielleicht auch
in seinen Schriften selbst, irgendwie eine Schattenrolle.
In Gesamtdarstellungen zu Bubers Dialogdenken
kommen sie zumeist nur am Rande
vor, und es gibt auch keine Stelle, in der er selbst
den Begriff der geistigen Wesenheiten gezielt erläutert.
Die Schwierigkeiten, die man mit diesem Begriff
haben kann, zeigen sich schon in den Versuchen,
ihn ins Englische zu übersetzen: Man findet
dort spiritual beings (Ronald Smith), intelligible
beings (Maurice Friedman), intelligible forms (Paul
Pfütze), forms of the spirit (Robert E. Wood) bis
hin zu spirit in phenomenal forms – letzteres soll
übrigens, wie Robert E. Wood mitteilt, eine erläuternde
Umschreibung von Buber selbst sein 2, was
durchaus möglich wäre. Im Übrigen sind die verschiedenen
Übersetzungsversuche eine eindrucksvolle
Illustration der Auffassung Bubers, exakte
Übersetzungen seien eigentlich nicht möglich.
Halten wir uns zunächst an Bubers Darstellung
aus Ich und Du. Die berühmte Stelle lautet:
»Drei sind die Sphären, in denen sich die Welt
der Beziehung errichtet. Die erste: das Leben mit
der Natur… Die zweite: das Leben mit den Menschen…
Die dritte: das Leben mit den geistigen
Wesenheiten.«3
Nur die zweite Sphäre, das Leben mit den Menschen,
erscheint uns von vornherein unproblematisch.
Wenn irgendwo, so meinen wir, der Dialog
seinen genuinen Ort habe, dann doch wohl hier.
Unter einem Leben mit der Natur können wir uns
natürlich durchaus einiges, sogar sehr vieles, vorstellen.
Schwieriger wird es schon, wenn das Leben
mit der Natur sich als Ich-Du-Beziehung realisieren
soll. Kein Geringerer als Emmanuel Lévinas
hatte seine Schwierigkeiten damit. Was aber ist
mit den geistigen Wesenheiten? Die Erläuterung,
die Buber gibt, ist wenig erhellend, sondern eher
enigmatisch: »Da ist die Beziehung in Wolke gehüllt,
aber sich offenbarend, sprachlos, aber sprachzeugend.
Wir vernehmen kein Du und fühlen
uns doch angerufen, wir antworten – bildend,
denkend, handelnd: wir sprechen mit unserm
Wesen das Grundwort, ohne mit unserem Munde
Du sagen zu können.«4
In der Tat: »…in Wolke gehüllt.«
Nun ist es natürlich nicht so, als gebe Buber
überhaupt keine weiteren Erläuterungen. Nachdem
er das Leben mit der Natur in Form der Betrachtung
eines Baumes aufgenommen und das
Leben mit den Menschen in die Situation des konkreten
Gegenüberstehens zwischen menschlichem
Ich und menschlichem Du hineingestellt hat,
spricht er unvermittelt von dem »ewige(n) Ursprung
der Kunst«5, womit wir uns also offenbar
in der Sphäre der geistigen Wesenheiten bewegen.
Worin besteht für Buber der ewige Ursprung
der Kunst? Darin, »dass einem Menschen Gestalt
gegenübertritt und durch ihn Werk werden
will.« Vierzig Jahre später gibt uns Buber in
einem Nachwort immerhin ein Beispiel dafür: »Es
ist die dorische Säule, wo immer sie einem Menschen
erscheint, der fähig und bereit ist, sich ihr
zuzuwenden.«