Nr. 01-02 (2018): Martin Buber. Neue Interpretationen
»Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« Martin Bubers Dialogphilosophie kann für alle kommunikativen Unternehmungen menschlichen Daseins, gerade aber auch für die christlich-jüdische Verständigung sowie für den Austausch mit anderen Religionen und Weltanschauungen, als theoretische Basis verstanden werden. Denn echte Begegnung setzt ein entscheidendes Moment voraus, das die Dialogpartner verbindet: gegenseitige Anerkennung, wechselseitiger Respekt, sich ohne Bedingungen auf einen anderen Menschen einlassen können. Das dialogische Prinzip ist keine abstrakte Angelegenheit, sondern will mitten im Leben, mitten im Alltag vollzogen sein. Neben der Praxis von Begegnung steht die »Vergegnung«, wenn sich der Dialog nicht einstellen mag. Beispielhaft für diesen Zusammenhang ist Martin Bubers Rede in der Frankfurter Paulskirche (1953) (»Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens«), in der er das Gespräch gegen den Krieg stellt: »Der Krieg hat von je einen Widerpart, der fast nie als solcher hervortritt, aber in der Stille sein Werk tut: die Sprache – die erfüllte Sprache, die Sprache des echten Gesprächs, in der Menschen einander verstehen und sich miteinander verständigen.«
Mit Bubers Philosophie und schließlich auch mit seiner daraus resultierenden zugewandten, kommunikativen und beziehungsorientierten Pädagogik hat sich ein Wandel im abendländischen Denken vollzogen: Das Subjekt, das Individuum kann nicht mehr als solitär und unabhängig definiert werden, wie es die Subjektphilosophie seit der Aufklärung teils explizit, teils implizit verstanden hat.
Der Mensch ist Beziehung, alle seine Lebensvollzüge sind Beziehung. Das gleiche gilt für Gemeinschaften, seien sie religiöse, soziale, ethnische Gruppen. Buber ist keineswegs nur Philosoph. Er hat sich leidenschaftlich für die Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern, zwischen allen Völkern eingesetzt. Das macht sein radikales Dialogdenken so hochaktuell in Zeiten des neu aufkommenden Fundamentalismus, Rassismus und Antisemitismus.
Aus diesen Gründen haben wir eine Ausgabe der Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg) für das Leben und Werk Martin Bubers zusammengestellt – anlässlich seines 140. Geburtstages in diesem Jahr. Aufgrund der Fülle von Beiträgen ist wieder eine Doppelnummer entstanden. Die Publikation dieser Ausgabe hat sich verzögert – aber Krankheit und Tod passen nicht in den Terminkalender und beeinträchtigten die ehrenamtliche Arbeit des Redaktionsteams.