Rezension zu: Picker, Christoph; Stüber, Gabriele; Bümlein, Klaus; Hofmann, Frank-Matthias (Hg.) (2016): Protestanten ohne Protest | Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus Band 1: Sachbeiträge Band 2: Kurzbiographien/Anhang Verlagshaus S
DOI:
https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.592Abstract
Die vier Herausgebenden haben mit dem vorgelegten
Werk eine akribische Gesamtdarstellung der Evangelischen
Kirche in der Pfalz zur Zeit des Nationalsozialismus
erstellt, was einerseits Bewunderung angesichts
des Umfangs und des Quellenmaterials (siehe Band 2),
andererseits aber auch Bestürzung angesichts der dargestellten
Inhalte und Quellen hervorruft, denn mit
»erschreckender Schnelligkeit« (S. 9) hat sich die Evang.
Kirche der Pfalz von NS-Ideologie und NS-Strukturen
vereinnahmen lassen.
1934 fand eine pfälzische Bekenntnissynode zwei
Monate vor Barmen statt, auf der ein Bekenntnis zum
Führerprinzip, zur Reichskirche und zum »Dritten
Reich« abgelegt wurde. Nach dem Krieg wurde die NSVerflechtung
der pfälzischen Kirche entweder nicht thematisiert oder verharmlost oder verdrängt. Erst ab
1995 bzw. 2009 begann, durch die Arbeit des landeskirchlichen
Arbeitskreises Kirche und Judentum angeregt,
die systematische Aufarbeitung (S. 11) dieser Verstrickung.
Viele nationalsozialistisch Gesonnene arbeiteten
nach dem Krieg mehr oder weniger unbehelligt
in kirchlichen Strukturen der neugegründeten Evangelischen
Kirche in der Pfalz weiter. Aber: »Diese Kirche
hat nach 1945 keine Buße für ihre schrecklichen Sünden
im ›3. Reich‹ getan und hat die größte Chance ihrer
Erneuerung und Reformation bisher versäumt ...
Die Kirche ist eine sterbende Kirche und versucht, sich
selber krampfhaft mit starren Ordnungen und viel Betriebsamkeit
und Geld am Leben zu erhalten.« (S. 17)
Forschungsgesamtergebnis dürfte jedoch der erschreckende
Befund sein, dass »Protestantismus und
Nationalsozialismus ... in der Pfalz weitgehend Hand in
Hand gingen« (S. 25) und dass viele kirchliche Amtsund
Funktionsträger_innen z.T. begeisterte Nationalsozialisten
waren (S. 25). Die nationalsozialistische
Machtübernahme sei »nahezu reibungslos« verlaufen
(S. 25).
Für den Kontext der ZfBeg sind das dritte und vierte
Kapitel des Buches entscheidend, weil hier Antisemitismus,
Zwangssterilisationen, Zwangsarbeit, Antikommunismus,
antikirchliche und antichristliche Maßnahmen,
Gottesdienst, Jugendarbeit und Schulpolitik mit
Religionsunterricht thematisiert werden. Roland Paul
betont in seinem Beitrag, dass der kirchliche Antisemitismus
nicht erst durch den NS-Staat aufgekommen sei
(S. 345), sondern sich schon massiv in den 1920er Jahren
hervorgetan habe (S. 346), sodass die NS-Propaganda
in der evangelischen Bevölkerung der Pfalz auf
fruchtbaren Boden gefallen sei (S. 348). Deswegen verwundere
es auch nicht, dass die nationalsozialistischen
»Deutschen Christen« schnell Fuß fassen konnten, und
der Boykott gegen jüdische Geschäfte und der sog. Arierparagraf
schnell umgesetzt wurden (S. 349).
Erschreckend sind die geschilderten Beispiele von
Judenfeindschaft in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen,
Organisationen und Verbänden (S. 355).