Rezension zu: Wiehn, Erhard Roy (Hg.) (2016): Die bittere Not begreifen Deutsch-jüdische Deportiertenpost aus südfranzösischen Internierungslagern im Kontext der Hilfsaktion der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen, Thurgau/Schweiz rund 75 Jahre danach.

Autor/innen

  • Wilhelm Schwendemann

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.624

Abstract

»Hunger als ständiger Begleiter« von Angst, Verzweiflung,
Tod und Elend sind die charakteristischen
Stichworte, die sich durch die 30 Textdokumente der
Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen, des Schweizerischen
Israelitischen Gemeindebundes, aber vor allem durch
die Briefe und Postkarten aus den französischen Internierungscamps
Gurs, Noé, Pontacq, Récebédou, Rivesaltes,
Les Mittes an die jüdische Gemeinde Kreuzlingen
ziehen.
Sehr eindrücklich ist die Sammlung der Briefe von
Rosa Schriesheimer. Die Frage nach dem Warum wird
in dem Beitrag von Margot Wicki-Schwarzschild
thematisiert, die selbst Betroffene der Deportation der
jüdischen Bevölkerung aus Südwestdeutschland am
22.10.1940 war. Die historische Einordnung von Erhard
Roy Wiehn der Ereignisse der Deportation nach
Gurs in Südfrankreich nahe der spanischen Grenze
macht die Ungeheuerlichkeit offenbar, mit der das NSRegime
gegen die jüdische Bevölkerung vorging.
Die Briefzeugnisse sind z.T. erschütternd, und für
die heutigen Leser_innen wird deutlich, dass sich diese
Geschichte(n) nicht auf einem fremden Stern abgespielt
hat/haben, sondern im Herzen Mitteleuropas.
Insgesamt wurden aus Baden und der Pfalz 6.504
Menschen jüdischer Zugehörigkeit deportiert, die Unvorstellbares
mitmachen mussten; Rosa Schriesheimer
schrieb am 17.3.1943 aus Gurs: »Ich will und darf den
Mut nicht sinken lassen, und will ich das Gottvertrauen
nicht verlieren.« (S. 13) Vier Jahre bekamen die Deportierten
aus der Schweiz Unterstützung, die unter z.T.
massiv erschwerten politischen Bedingungen erbracht
wurde. »Auch rund 75 Jahre später sind diese Briefe
und Postkarten noch traurige Zeugnisse des Leidens und
der Verzweiflung völlig unschuldiger Opfer, immerhin
jedoch im Kontext von Dokumenten selbstloser Hilfsbereitschaft.
« (S. 16) In Gurs herrschten »unendlicher
Hunger, Kälte, materielle Not und seelisches Elend.«
(S. 238) Ab dem 5.8.1942 wurden diejenigen, die die
Verhältnisse in Gurs überstanden hatten, fast vollzählig
in die »Todeslager« nach Polen gebracht (S. 240). Bitter
wird kommentiert: »Die Staatsraison von Vichy kannte
keine Menschlichkeit.« (S. 241)

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Veröffentlicht

2021-01-23