Aus der Übersetzerwerkstatt: Zur deutschen Übersetzung von Elie Wiesels »…un di welt hot geschwign«

Autor/innen

  • Marion Eichelsdörfer

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.635

Abstract

Elie Wiesels wohl meistgelesenes Werk ist sein
Überlebensbericht Die Nacht, in dem er die Deportation
aus seiner Heimatstadt Sighet nach Auschwitz,
dann ins Lager Buna/Monowitz und schließlich
den Todesmarsch nach Buchenwald und seine
Befreiung schildert. Dieses Zeugnis erschien in
der deutschen Übersetzung von Curt Meyer-Clason
erstmals 1962.2 Vorlage war der von Wiesel
selbst verfasste französische Text La Nuit (1958),
der bereits 1960 von Stella Rodway ins Englische
übertragen worden war. Zu diesem französischen
Text existiert jedoch noch eine mehr als doppelt
so umfangreiche jiddische Vorversion unter dem
Titel …un di welt hot geschwign (1955/56), erschienen
als Nr. 117 in der Reihe Dos pojlische
jidntum. 3 Für das Projekt der deutschsprachigen
Gesamtausgabe der Elie-Wiesel-Werke wird im
ersten Schritt an der Übersetzung von …un di
welt hot geschwign ins Deutsche gearbeitet.
Zwar soll dazu ein noch ausführlicheres, 862 Seiten
starkes jiddisches Manuskript existieren oder
existiert haben, dieses wird der Forschung wohl
jedoch unzugänglich bleiben.4
Der Historiker Joel Rappel 5 stieß bei seinen
Recherchen zur Entstehungsgeschichte von Die
Nacht auf ein hebräischsprachiges Manuskript von
150 Seiten, das mit dem Hinweis »first draft« (erster
Entwurf) markiert war. 6 Diese handschriftliche
Version von Elie Wiesels Bericht soll laut Rappel
bereits vor der maschinengeschriebenen jiddischen
Version …un di welt hot geschwign entstanden
sein.7 Wiesels Autobiographie Alle Flüsse
fließen ins Meer… gibt ebenfalls einen Hinweis
darauf: »Ich bleibe während der ganzen Überfahrt
in meiner Kabine und schreibe auf Jiddisch an
meiner Erzählung über die Zeit im Konzentrationslager.
Ich hatte mit dem Bericht schon vor einigen
Monaten auf Hebräisch begonnen und ihn,
ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund, Yaffah
zu lesen gegeben, einer Kollegin, die für eine israelische
Kinozeitschrift arbeitet.« 8 Allerdings
bleibt unklar, ob der hebräische Text vor der Arbeit
an …un di welt hot geschwign beendet worden
war und was die von Wiesel genannte Kollegin
mit seinem Text gemacht hat. Joel Rappel datiert
das von ihm gefundene hebräische Manuskript
auf das Jahr 1954 und vermutet, dass Elie
Wiesel seinen hebräischen Text der israelischen
Zeitung Jediot Achronot angeboten hat, für die er
schon seit 1948/49 schrieb.9 Das Manuskript wurde
in kurzen Abschnitten von höchstens zwei bis
vier Seiten verfasst. Dies entspräche der üblichen
Länge der Artikel, die Wiesel dorthin ablieferte.
Erst Ende des vergangenen Jahres hat Rappel
der Öffentlichkeit ein weiteres Textfragment, diesmal
der französischen Version La Nuit, präsentiert.
10 Es handelt sich dabei um das ursprünglich
erste Kapitel von La Nuit, das bei der Überarbeitung
herausgestrichen worden war.

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Veröffentlicht

2021-01-23