Hüte Deine Zunge! Rabbinisch-benediktinische Psalmbetrachtung zu Psalm 34

Authors

  • Daniel Krochmalnik
  • Sr. Raphaela Brüggenthies

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.644

Abstract

Rahmen und Scharnier
Psalmus 33 (bzw. 34) – divisa est in partes
tres! Mit Ausnahme der Überschrift in der Kopfzeile
1 und der Unterschrift in der Schlusszeile 23 handelt
es sich um einen sogenannten Alphabet-Psalm,
d. h., jede neue Zeile beginnt mit dem nächsten
Buchstaben des hebräischen Alphabets.
Solche Abecedarien erheben auch den Anspruch,
zu ihrem Thema alles von A bis Z zu sagen.
Es fehlt allerdings der Waw-Vers. Der Psalmist
meinte vielleicht mit der Konjunktion Waw zu
Beginn des zweiten Hemistichos im vorigen He-
Vers dem Waw-Zwang schon Genüge getan zu
haben. Jedenfalls wird die Anzahl durch die Auslassung
ungerade, wodurch der Psalm eine Mitte
im Lamed-Vers 12 bekommt. Dass auch das ein
Grund für die Auslassung gewesen sein könnte,
dafür liefert der Psalm selbst einen Anhaltspunkt.
Der Buchstabenname Lamed bedeutet nämlich
lernend, und der Vers ist sicher nicht zufällig ein
Aufruf zum Lernen:
Lechu-Wanim Schimu-Li Jirat
H’ Alamedchem,
Kommt her Kinder, hört auf mich,
Furcht des Herrn lehr ich euch.
Um diese Übereinstimmung von Buchstabe
und Sinn zu erzielen, musste die Form angepasst
werden. Um die folgenden Verse 12 (Lamed) – 14
(Samech), der Lehre in der Mitte des Psalms, drehen
sich in thematischer und terminologischer
Entsprechung die beiden anderen Teile des
Psalms, der Vorderteil aus zehn Versen Aleph bis
Kaph und der Hinterteil aus 7 Versen von Ajin bis
Taw. Die außerplanmäßige Schlusszeile 23 gibt
dem Psalm, der sonst mit Strafworten ausklingen
würde, ein Happy end. Die Ringkomposition legt
die moralische Belehrung als architektonische
und homiletische Mitte des Psalms nahe.
Ein Haufen Desperados
Wir folgen aber zunächst der historischen Interpretation
in der Kopfzeile des Psalms und verstehen
ihn, wie der Psalter und der rabbinische Midrasch
ihn verstanden wissen wollten, nämlich aus
der Geschichte Davids, »da er verstellte seinen
Verstand vor Abimelech, der ihn forttrieb und er
ging« (1). Dieser Titel spielt auf eine wenig rühmliche
Episode nach dem weltberühmten Kampf
zwischen David und Goliat an (1 Sam 17). David
verschlug es auf der Flucht noch einmal in die
Heimat Goliats nach Gat (1 Sam 21,11ff); er
wurde sofort erkannt und dem König vorgeführt.
Um sich zu retten, stellte er sich verrückt, kratzte
Türen und ließ Speichel rinnen. »Ihr seht ja«,
meinte darauf der verärgerte König, »verrückt geworden
ist der Mann, warum bringt ihr ihn zu
mir« (16) – David wird rausgeworfen, entkommt
und versteckt sich in einer Höhle (Meara). Dort,
so heißt es im 1. Buch Samuel, »sammelten sich
um ihn jeder, der in der Klemme war, und jeder,
der einen Gläubiger hatte und jeder seelenverbitterte
Mann, und er war ihnen zu einem Anführer,
und es waren bei ihm an vierhundert Mann«
(22,2). Der Psalmist verortet den Psalm 34 in eben
diese Höhle, mitten in diesen Haufen von Desperados.
Der Psalm beschreibt, wie der Schäfer von
einst alle diese schwarzen Schafe zu einer Herde,
zu einer Gemeinde Gottes zusammenschweißt [...].

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Published

2021-01-23