Rezension zu: Wiesel, Elie (2017): Worte wie Licht in der Nacht (hg. und eingeleitet von Rudolf Walter), Herder, Freiburg, 156 Seiten.

Autor/innen

  • Reinhold Boschki

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.649

Abstract

Der Verlag Herder legt mit diesem Bändchen anlässlich
des Todes von Elie Wiesel eine ältere Sammlung
von Zitaten und kleinen Werkausschnitten neu
auf. Die ursprüngliche Zusammenstellung ebenso wie
die etwas erweiterte Neuausgabe wurde von Rudolf
Walter besorgt, der Wiesel für den Verlag entdeckte
und intensive Kontakte mit ihm hielt.
Das kleine Buch führt durch die wichtigsten Werkteile
und zeugt von breiter Kenntnis des Gesamtwerks
Elie Wiesels. Die Zitate sind nach Themen geordnet,
die ein gewisses Licht auf den Autor und sein Anliegen
werfen: Leben, Freundschaft, Geheimnis, Nacht, Gott,
Klage, Angst, Traurigkeit, Gebet, Schweigen, Kampf
gegen den Hass, Frieden etc. Alle diese Stuckworte
sind wichtige Motive in Wiesels Werk und bieten von
daher einen Einblick in die Vielfalt und Breite der
Schriften, die eben nicht, wie landläufig angenommen
wird, reine Holocaust-Literatur darstellen. Wer Wiesel
nur von seinem zentralen Buch Die Nacht, seinem Benachzuricht
über die Todeslager, her kennt, erwartet unter diesem
Titel eine Auseinandersetzung mit der Auschwitz-
Erfahrung. Die wiedergegebenen Zitate gehen allerdings
weit darüber hinaus.
Einige Beispiele: »Jedes Wesen steht im Mittelpunkt
der Schöpfung, jedes Wesen rechtfertigt die
Schöpfung.« (S. 17, aus: Geschichten gegen die Melancholie);
»Jenseits der Traurigkeit und noch unter der
Verzweiflung – da ist Liebe, und dort wird es sie immer
geben.« (S. 35, aus: Was die Tore des Himmels öffnet);
»Die jüdische Tradition erlaubt es dem Menschen, Gott
alles zu sagen, sofern es gut für den Menschen ist.«
(S. 84, aus: Chassidische Feier); »Nach Auschwitz haben
die Worte ihre Unschuld verloren…« (S. 119, aus:
Gott nach Auschwitz); »Hass ist die Weigerung, den
anderen Menschen als Person und als menschliches
Wesen anzuerkennen. … Religiöser Hass verdunkelt
das Antlitz Gottes.« (S. 146f, aus: Den Frieden feiern).
Die Sammlung ist gut zusammen gestellt, hat allerdings
die leichte Tendenz zur Verharmlosung und Harmonisierung
der widerständigen und irritierenden
Konzentration Wiesels auf die Opfer des millionenfachen
Mords. Seine unablässige Klage gegen die Abgründigkeit
menschlichen Handelns, die sich im gleichen
Atemzug als radikale Anklage Gottes zeigt, darf nicht
verstellt werden. Versteht man das Büchlein einseitig
»harmonisch«, kommt einem eine allzu gefällige und
stachellose Botschaft des Auschwitz-Überlebenden entgegen.
Wer sich dieser Gefahr jedoch bewusst ist und
einen ersten Über- und Einblick in die Breite des Werks
von Elie Wiesel gewinnen will, findet in dieser Zitatensammlung
viele Anregungen, die zum Nachdenken
und Weiterlesen motivieren.

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Veröffentlicht

2021-01-23