Rezension zu: Boschki, Reinhold; Wohlmuth, Josef (Hg) (2015): Nostra Aetate 4. Wendepunkt im Verhältnis der Kirche zum Judentum – bleibende Herausforderung für die Theologie (Unter der Mitarbeit von Lukas Ricken. Band 30.

Autor/innen

  • Werner Trutwin

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.654

Abstract

Vor mehr als einem halben Jahrhundert, im Oktober
1965, verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil
(1962 – 1965) kurz vor seinem Abschluss mit großer
Mehrheit die Erklärung über das Verhältnis der Kirche
zu den nichtchristlichen Religionen (lat.: Nostra Aetate;
In unserer Zeit, Abk.: NA). In ihr verändert die Kirche
ihr Verhältnis zu den Weltreligionen radikal und bezieht
sich dabei im Allgemeinen auf alle Weltreligionen,
namentlich auf den Hinduismus, Buddhismus und
den Islam. Zentral geht es aber um eine Neubestimmung
der Beziehungen der Kirche zum Judentum. Im
4. Kapitel, dem Herzstück des Textes, bekennt sich die Kirche erstmals deutlich zur engen geistlichen Verwandtschaft
mit dem Judentum, spricht dem Judentum nicht
länger den Fortbestand seines Gottesbundes ab und bedauert
alle Formen des Antisemitismus. Zu Recht wurde
darum NA als eine theologische Sensation oder gar
Revolution angesehen.
Ohne Übertreibung kann man dieser Erklärung drei
Superlative zuschreiben. Sie ist (1) das kürzeste, (2) das
am meisten umstrittene und (3) das wirkungsvollste
Dokument des Konzils. Seit den Vorbereitungen des
Konzils bis zur endgültigen Verabschiedung der Erklärung
wurden hartnäckig und auch polemisch immer
wieder theologische und politische Einwände gegen jede
Konzilsäußerung zum Judentum vorgebracht. Man argumentierte,
dass theologisch eine judenfreundliche
Stellungnahme des Konzils mit einer langen gegenläufigen
Tradition brechen würde, nach der der Alte Bund
durch den Neuen Bund ersetzt oder überboten worden
sei. Politisch wurde unterstellt, dass der Staat Israel insgeheim
mit einem gewissen Druck an der Erklärung beteiligt
sei. Deshalb werde eine israelfreundliche Erklärung
des Konzils zum diplomatischen Bruch der Kirche
mit den arabischen Ländern führen. Es sei unverantwortlich,
die Christen in den arabischen Ländern einer
dort zu erwartenden Verfolgung auszusetzen.
Es war wohl eine Fügung, dass die Erklärung trotz
aller Widerstände letztlich doch zustande kam. Allerdings
fiel sie trotz ihrer grundlegenden Neuorientierung
nicht ganz so aus, wie es von vielen Befürwortern
erhofft wurde. Fachleute erkannten leicht, dass der
Text an vielen Stellen Kompromissformeln enthält. Sie
vermissten vor allem eine klare Absage an die Judenmission,
ein deutliches Bekenntnis zur Mitschuld der
Kirche an der Schoah und eine diplomatische Anerkennung
des Staates Israel, die erst lange nach dem Konzil
1993 erfolgte.
Die Wirkungsgeschichte der »Judenerklärung« und
mehr noch ihre Bedeutung für die Theologie der Gegenwart
und Zukunft standen im Programm einer Tagung
an der Universität Bonn. Sie wurde von den beiden Theologieprofessoren
Reinhold Boschki und Joseph Wohlmuth
geplant und durchgeführt. Beide haben jetzt auch
den vorliegenden Sammelband über diese Tagung herausgegeben.
Zusammen kamen international bekannte
Expertinnen und Experten – ein Drittel aus dem Ausland
–, sowie Theologinnen und Theologen aus Wissenschaft
und Praxis, um die anstehenden theologischen
und religiösen Fragen zu diskutieren. Hier waren Juden
und Christen, Katholiken und Protestanten, Frauen
und Männer zusammen, um die Erinnerung an NA
wach zu halten und ihre bis heute nur unvollständig
genutzten Ressourcen für das kirchliche Leben in den
Blick zu nehmen. Es war wie ein vielstimmiges großes
Konzert, als sich Judaisten, systematische Theologen
und Moraltheologen, Liturgiewissenschaftler und Ökumeniker,
Exegeten des Alten und Neuen Testaments,
Pastoraltheologen und Religionspädagogen über die
Wirkung von NA auf ihr Fachgebiet und auf immer
noch bestehende Desiderate aufmerksam machten.
Aus der Fülle der vielen Vorträge und Diskussionsbeiträge
können hier nur einige Beispiele angeführt
werden. Reinhold Boschki, Religionspädagoge, kritisiert,
dass in NA wenig von konkreter Erinnerung zu finden
sei. Der Text bleibe zu dieser Thematik vage und
ausweichend. Die kirchlichen Diffamierungen des Judentums,
die Gewalttaten der Christen gegen Juden,
selbst die Schoah würden mit keiner Silbe erwähnt.
Das alles sei erst nach dem Konzil erfolgt. Ulrich Berges,
Alttestamentler, weist darauf hin, dass es keine
gute Entscheidung war, das Judentum mit den anderen
großen Religionen unter dem Begriff der Religion zu
subsumieren, da das Verhältnis des Judentums zum
Christentum fundamental anders sei als zum Islam,
Buddhismus usw.

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Veröffentlicht

2021-01-23