Rezension zu: Navon, Moshe; Söding, Thomas (2018): Gemeinsam zu Gott beten Eine jüdisch-christliche Auslegung des Vaterunsers Freiburg u.a.: Herder, 176 Seiten.

Autor/innen

  • Wilhelm Schwendemann

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i03.547

Abstract

Jesus ist Jude gewesen, und im VaterUnser betet er
zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Thomas Söding
und Moshe Navon vergleichen das VaterUnser mit
dem jüdischen Amida-Gebet und dem Kaddisch. Als
christliches Grundgebet wird das VaterUnser zum Herzensgebet
der Christ_innen (S. 21) und bleibt dabei
aber ein jüdisches Gebet. Der Vater im Himmel ist genauso
jüdischer Gebetsinhalt (S. 25, vgl. Jer 31, 8).
Im jüdischen Gebet geht es um eine immerwährende
Erneuerung des Bundes, und das Urchristentum
hat das VaterUnser als jüdisches Gebet gebetet – nach
Navons Meinung stellt das VaterUnser eine Kurzform
des Amida-Gebets dar (S. 29). Das Amida-Gebet wird
dreimal am Tag (Abend – Morgen – Nachmittag) gebetet
(S. 30) und soll mit Hingabe (Kawana) gebetet werden
(S. 30). Grundsätzlich ist das Gebet als Dialog zwischen
Gott und Mensch zu verstehen und bindet jedes
Gebet an das Sinaigeschehen zurück (S. 31). Inhalt des Betens ist das liebevolle Miteinander zwischen Gott
und Mensch: »Das jüdische Gebet zu den dafür bestimmten
Zeiten ist ein Ausdruck dieser göttlichen Liebe.
Wer diesen Geist des Gebets erfährt, der begreift auch
die Amida als integralen Teil jüdischen Lebens.« (S. 31).
Im christlichen Bereich sei das VaterUnser, so Söding,
»das beste Gegengift gegen religiöse Ruhmsucht
und gegen die Angst, mit großem Aufwand erst die
Aufmerksamkeit Gottes erzielen zu müssen…« (S. 32).
Das VaterUnser lasse sich nur im Glauben, in der Liebe,
in der Hoffnung beten (S. 33), und Jesus spricht das
Gebet als Kind Israels. Gott dürfe mit Vater angeredet
werden, weil ER die auf ihn Vertrauenden zu Kindern
mache (S. 35) (Röm 8, 29).
Die beiden neutestamentlichen Fassungen (Mt 6,
9-13; Lk 11, 2-4) sind in der Struktur identisch; in beiden
Fassungen wird mit Vater eingeleitet. Söding vergleicht
das Beten des VaterUnsers mit dem Atemrhythmus
als Rhythmus des Lebens (S. 39). Jesus als Sohn
Abrahams (Mt 1,1) betet das VaterUnser im Vertrauen
auf Gott (S. 45): »Gott zu lieben, heißt, ihn als Vater anzureden,
ihn zu bitten, das zu tun, was er tun will, ihm
die Herzenswünsche nicht vorzuenthalten, aber ihn
auch nicht zu etwas überreden zu wollen…« (S. 47).
Das ursprüngliche jüdische Gebet gliedert sich in
Dekalog – Schma Israel (Dtn 6, 4-9) – Übernahme des
Jochs (Dtn 11, 14-21) – Exodus (Num 15, 37-41), dem
Amida-Gebet und der Torahvorlesung (S. 48). Vor
allem nach der Tempelzerstörung ersetzt das Gebet die
Opfer im Tempel (S. 51) und das VaterUnser nimmt genau
diese Praxis in der Zeitenwende auf (vgl. Mk 12,
28-34). Der Dekalog im Gottesdienst erinnert an die
Lebensregeln, deren Befolgung zu Gott führen kann;
das Schma Israel erinnert an die Liebe zu Gott und die
Liebe zum Nächsten (S. 55). Der »Sohn Gottes« ist nach
der Torah identisch mit dem Volk Israel und gleichzeitig
Diener Gottes (S. 60). Gott wartet mit väterlicher Güte
auf jeden Menschen, der zur Umkehr bereit ist (S. 61),
was in der Anrede Vater symbolisch repräsentiert ist.

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Veröffentlicht

2021-01-22