Rezension zu: Himmelbauer, Markus; Jäggle, Martin; Siebenrock, Roman A.; Treitler, Wolfgang (Hg.) (2018): Erneuerung der Kirchen, Perspektiven aus dem christlich-jüdischen Dialog, Herder-Verlag, Freiburg, 325 Seiten.

Autor/innen

  • Reinhold Boschki

DOI:

https://doi.org/10.25786/cjbk.v0i01-02.581

Abstract

Der vorliegende Band ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert:
Zum einen fragt er nach der »Erneuerung
der Kirchen« aufgrund eines erneuerten christlich-jüdischen
Verhältnisses; das heißt, die Beiträge sind als
Selbstreflexion der christlichen Kirchen zu verstehen,
ihre eigene kirchlich-theologische Tradition und Gegenwart
zu hinterfragen und Spuren der Judenfeindschaft
selbstkritisch zu entdecken. Damit liegt das Anliegen
des Buches ganz in der Spur des Konzilsdokuments
Nostra Aetate, das in Abschnitt 4 programmatisch beginnt:
»Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche
gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch
das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams
geistlich verbunden ist.« Das Zweite Vatikanische Konzil
will damit sagen: Die Selbstreflexion der Kirche muss
mit einer Reflexion der besonderen Verbindung zwischen
Christentum und Judentum beginnen. Selbstreflexion
schließt jedoch immer auch Selbstkritik mit ein.
Zum anderen widmen sich mehrere Beiträge explizit
der Aufarbeitung des christlichen Antijudaismus
bzw. Antisemitismus sowie der Situation angesichts der
Schoah, der Vernichtung des europäischen Judentums.
Außerdem sind verschiedene theologische Disziplinen
beteiligt (Exegese, Systematik, Praktische Theologie),
um die verschiedenen Dimensionen des christlich-jüdischen
Verhältnisses auszuloten. So bringt der Band
drei wesentliche Perspektiven zusammen, die nicht
voneinander zu trennen sind: kritische Selbstreflexion
der Kirchen, theologische Impulse für ein revidiertes
Verhältnis zum Judentum, Erforschung der Geschichte
und Gegenwart des christlichen Antisemitismus.
Das Buch geht zurück auf einen Studientag an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
im Jahr 2015, dem 50. Jahrestag von Nostra Aetate. Die Herausgeber stellen gleich zu Beginn programmatisch
fest: »Die Erneuerung der Kirchen mit Blick auf ihre
jüdischen Wurzeln und gemeinsam mit ihren Wegbegleiter(
innen) aus dem Judentum birgt noch viele unausgeschöpfte
Themen und ist in der kirchlichen Praxis
noch lange nicht eingeholt.« (S. 7)
Schon in den ersten zwei Beiträgen stellen sich die
Autoren der Geschichte des Antisemitismus, die an der
Universität Wien wie auch in der katholischen Dorfkultur
entdeckt und kritisch rezipiert wird.
Die katholische und evangelische Kirche, so stellt
Stefan Schima fest, haben einen nicht unerheblichen
Anteil an der Entstehung und brutalen Ausbreitung der
Judenfeindschaft innerhalb der Wiener Universität. Religiös
motivierter Antijudaismus und rassisch motivierter
Antisemitismus sind nur in den seltensten Fällen
sauber voneinander zu trennen. Auch nicht die Geschichte
antisemitischer Tradition (z.B. die fatale Ritualmordlegende)
und die Gegenwart impliziter und expliziter
antijüdischer Ressentiments in der katholischen
Volkskultur, wie Klaus Davidowicz eindrücklich darstellt.
Während Norbert Reck eine präzise Aufarbeitung
der Theologie nach Auschwitz, ihrer Notwendigkeit und
ihrer Defizite aufarbeitet – Stichwort: Schuldabwehr –,
zeigt Edward Kessler in seinen »Reflexionen eines europäischen
jüdischen Theologen« (S. 94 –115) die wesentlichen
und gleichsam neuralgischen Punkte des
christlich-jüdischen Dialogs auf: Die Themen Schoah,
Antisemitismus und Israel müssen intensiv theologisch
bearbeitet werden, obwohl und gerade weil sie in Nostra
Aetate gar nicht oder zu schwach auftauchen. Dazu
müssen die Bundestheologie und das christliche Zentralthema
der Inkarnation von Juden und Christen auf neue
Weise und vor allem dialogisch aufgegriffen werden.
Auch die Systematikerin Johanna Rahner sieht im
Antisemitismus einen Brennpunkt der Selbstreflexion
der Kirche. Sie besteht darauf, dass die christliche Judenfeindschaft
nicht nur auf einzelne Akteure abgewälzt
werden darf, sondern dass die Kirche als Ganze Schuld
trägt.

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Veröffentlicht

2021-01-22

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